Demokratie und Grundrechte

Demokratie und Grundrechte

Für ein Verbot von Gen-Dateien und genetischen Fingerabdrücken

JungdemokratINNen/Junge Linke unterstützen Initiativen und Bündnisse, die sich gegen die Gen-Datei und den genetischen Fingerabdruck insgesamt, oder bestimmte Aspekte (z.B. mangelnden Datenschutz, konkretes Vorgehen bei der Entnahme von Körperzellen u.ä.) engagieren.

Insbesondere unterstützen JD/JL Betroffene (derzeit vor allem Strafgefangene) in der Wahrnehmung ihrer Rechte gegen eine Analyse und Speicherung ihrer DNA-Identifizierungsmuster.

JungdemokratINNen/Junge Linke fordern

  • Die Änderung der Strafprozeßordnung vom 7. September 1998 (DNA-Identitätsfeststellungsgesetz) ist rückgängig zu machen.
  • Alle existierenden DNA-Identifizierungsmuster, sowie die Gen-Datenbank des BKA sind unverzüglich zu löschen.
  • Ein generelles gesetzliches Verbot der Erstellung von DNA-Identifizierungsmustern („Genetischer Fingerabdruck“) und deren Speicherung in einer sogenannten Gen-Datei.
  • Ein generelles gesetzliches Verbot der Entnahme von Körperzellen und von Speichelproben, die der Erstellung von DNA-Identifizierungsmustern dienen, insbesondere in Form von Massentests.

Begründung

Was ist eigentlich die Gen-Datei?

Am Anfang der Geschichte zur Gen-Datei steht ein Wunder der Wissenschaft, das in Anbetracht der in die Humangenetik, insbesondere Projekte zur Entschlüsselung der DNA, gepumpten Forschungsmillionen gar kein Wunder ist. Jedenfalls ist es nach einhelliger Meinung der Experten möglich, aufgrund weniger Körperzellen eines Menschen (z.B. einem Blutstropfen, einem Stück Haar, einer Hautschuppe etc.) eine Gen-Analyse durchzuführen und daraus einen genetischen Fingerabdruck zu erstellen, der diesen Menschen unter Millionen endeutig indentifiziert (wieviele Millionen oder gar Milliarden es nun genau sind, darüber wird noch gestritten). Dieser „Abdruck“ läßt sich als eine Art Strichcode in einer Computerdatenbank abspeichern und kann dann elektronisch mit anderen verglichen werden. Für dieses Verfahren wird ein DNA-Strang verwendet, in dem sich nicht die eigentlichen Erbinformationen befinden – und aus dem sie sich bislang noch nicht „herauslesen“ lassen, aber das ist nach Meinung einiger Experten nur eine Frage der Zeit.

Das ist wichtig, weil so behauptet werden kann, es würden außer des Identifizierungsmerkmals keine personenbezogenen Informationen gewonnen und gespeichert. Daher auch der Vergleich mit einem Fingerabdruck, dem man ja auch nicht ansieht, wie die Person sonst aussieht oder welche Abstammung sie hat. Wie so oft, war nicht einfach wissenschaftliche Neugier der Antrieb zu dieser Entdeckung, son-dern vor allem die Idee, mit Hilfe solcher Verfahren ließe sich die Arbeit der Kriminalpolizei revolutionieren. Statt mühsam Indizien zu sammeln, oder in einem zeitraubenden Procedere Fingerabdrücke abzugleichen, genügt eine winzige Spur und eine ausreichend große Datenbank, um den Straftäter zu überführen – das ist die Hoffnung und deshalb floß das Geld in Strömen. Nachdem die technische Lösung gefunden war, fehlte dem Bundeskriminalamt (BKA) nur noch die rechtliche Grundlage, sie in die Praxis umzusetzen. Natürlich haben sie nicht so lange gewartet, bis ein entsprechendes Gesetz verabschiedet war, sondern gleich mal losgelegt: bereits 1993 wurde ein BKA-Beamter, der dem „Stern“ Unterlagen aus dem Fall „Bad Kleinen“ übermittelt haben soll, aufgrund des Speichels auf der Briefmarke wegen Geheimnisverrats verurteilt. Ohne gesetzliche Regelung wurden schon tausenden von Straftätern DNA-Proben entnommen, um bei Bedarf genetische Fingerabdrücke zu erstellen. Hunderte waren bereits beim BKA gespeichert. Für besondere öffentliche Aufmerksamkeit sorgten im vergangenen Jahr Massen-Gentests, mit deren Hilfe Sexualmörder gefaßt werden sollten. Das Thema „Sexualstraftäter“ und die vermeintlichen Erfolge des Verfahrens (entweder konnte kein Täter ermittelt werden, oder er hätte auch ohne so ein aufwendiges und ein paar hunderttausend Mark teures Verfahren gefunden werden können, da es z.B. der Nachbar war) trugen dazu bei, daß der Bundestag im September 1998 durch das „DNA-Identitätsfeststellungsgesetz“ dem Treiben eine gesetzliche Grundlage schaffen wollte.

Besagtes Gesetz ist jedoch weit davon entfernt, den rechtsstaatlichen Bedenken gegen die Gen-Datei Rechnung zu tragen. Stattdessen weitet es die Zielgruppe, deren genetische Codes in der Datenbank gespeichert werden sollten, weiter aus und ließ ansonsten fast alles ungeregelt. Jedes Bundesland hat dementsprechend eigene Vorstellungen davon, wie nun zu verfahren, was erlaubt und was verboten sei. Die aufgrund dieses Gesetzes an das BKA ergangene neue Errich-tungsanordnung ist – wen wundert das eigentlich noch – geheim. Und die bundesdeutsche Öffentlichkeit ist an den Abbau fundamentaler rechtsstaatlicher Prinzipien inzwischen so gewöhnt, daß sich kaum wahrnehmbarer Protest in dieser ganzen Angelegenheit erhebt.

Einwände gegen die Gen-Datei

Die Einwände gegen eine solche Gen-Datei sind zahlreich und beziehen sich auf unterschiedliche Aspekte des Verfahrens. Wir stellen sie geordnet nach Problemfeldern jeweils kurz vor.

Blinder Glaube an die Wissenschaft

Das Verfahren zur Erstellung eines genetischen Fingerabdrucks erfordert spezialisierte wissenschaftliche Kenntnisse und Verfahren. Sie sind weder den Kriminalbeamten, die lediglich die Strichcodes abgleichen, noch sonst einem Normalbürger nachvollziehbar. Das die Codes eindeutig sind, müssen wir einfach glauben. Wissenschaft kann sich irren. Insbesondere bei Massentests ist die Wahrscheinlichkeit eines Irrtums groß. Proben können verunreinigt oder vertauscht werden – niemand kann kontrollieren, ob die Wissenschaftler ordentlich gearbeitet haben.

Blinder Glaube an die Kriminalistik

Je aufwendiger die Fahndungsmethoden, desto größer ist die öffentliche Aufmerksamkeit und desto mehr steigt der Erfolgsdruck der Kriminalbeamten. Dieser Erfolgsdruck kann so groß werden, daß Beweise und Indizien manipuliert werden, wie jüngst im Fall O. J. Simpson. Oder zumindest wird es mit dem Zusammenhang der Indizien zur Tat nicht allzu genau genommen. Nicht immer läßt sich von Spuren am Tatort (z.B. eine Zigarettenkippe) auf den Täter schließen. Es können vorher ja noch andere dort gewesen sein. Doch wen interessiert das noch ange-sichts einer so „heißen Spur“, wenn einmal die Gen-Codes abgeglichen sind? Oder umgekehrt: wenn das BKA bei einem dringend der Tat verdächtigen den Abgleich vornimmt und feststellt, daß die Gen-Codes nicht identisch sind: wird es den Entlastungsbeweis bekannt machen, oder lieber Stillschweigen bewahren?

In jedem guten Fernsehkrimi wird noch vorgeführt, daß es zur Überführung eines Täters mehr braucht als eine Hautschuppe. Es muß ein Motiv gefunden, die Alibis müssen widerlegt und zusammenfassend eine plausible Geschichte rekonstruiert werden. Es gilt das Prinzip: in dubio pro reo, bis zum Beweis der Schuld ist der Verdächtige unschuldig. Mit zunehmender Technisierung der Polizeiarbeit wird dieses Prinzip schrittweise umgekehrt: der Verdächtige muß seine Unschuld beweisen, weil er eine bestimmte Ameise am Stiefel hatte, am falschen Ort geraucht hat, oder eine Stoffaser seines Lieblingspullis irgendwo gefunden wurde. Eine Kriminalistik, die sich nicht mehr um Motive und Alibis zu scheren braucht, mag zwar bequemer sein – in rechtsstaatlicher Hinsicht ist sie ein problematischer Rückschritt in die Zeit der Hexenprozesse.

Gravierende Regelungsmängel des Gesetzes

Das Gesetz regelt, bei wem Körperzellen zur Erstellung von DNA-Identifizierungsmustern ent-nommen werden dürfen: „dem Beschuldigten, der einer Straftat von erheblicher Bedeutung, insbesondere eines Verbrechens, eines Vergehens gegen die sexuelle Selbstbestimmung, einer gefährlichen Körperverletzung, eines Diebstahls in besonders schwerem Fall oder einer Erpressung verdächtig ist […] wenn wegen der Art oder Ausführung der Tat, der Persönlichkeit des Beschuldigten oder sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme besteht, daß gegen ihn künftig erneut Strafverfahren wegen einer der vorgenannten Straftaten zu führen sind“ oder „wenn der Betroffene wegen einer der […] genannten Straftaten rechtskräftig verurteilt […] worden ist und die entsprechende Eintragung im Bundeszentralregister […] noch nicht getilgt ist“.

Diese Formulierungen lassen so viel Interpretationsspielraum, daß der Kreis der Betroffenen sich nahezu beliebig ausdehnen läßt. In einigen Bundesländern geht man bereits daran, alle Strafgefangenen, die wegen sogenannter Verbrechen (das sind alle Delikte, die mit mindestens einem Jahr ohne Bewährung bestraft werden) einsitzen, systematisch zu erfassen. Die Justizministerien der Länder rätseln bereits, was Straftaten „von erheblicher Bedeutung“ sind. Fast je-der, der nicht gerade ein Bagatelldelikt begeht, ist in dieser breiten Definition unterzubringen. Auch mit der Annahme der zu erwartenden erneuten Ermittlungen ist man, wie die Praxis be-reits zeigt, schnell bei der Hand: in einigen Strafanstalten wurden erstmal alle „Mörder“ (in der Sprache des StGB) zur Genprobe beordert – „Mörder“ haben bekanntlich eine sehr niedrige Rückfallquote. Außerdem regelt das Gesetz, daß DNA-Identifizierungsmuster vom BKA gespeichert werden dürfen und „nach dem Bundeskriminalamtsgesetz verarbeitet und genutzt werden“ können. Desweiteren dürfen daraus Auskünfte „für Zwecke eines Strafverfahrens, der Gefahrenabwehr und der internationalen Rechtshilfe hierfür erteilt werden“. Im Klartext: wie die Daten gespei-chert und verarbeitet werden, mit welchen anderen Daten sie kombiniert, an wen sie schließlich übermittelt und wofür sie eingesetzt werden ist weitgehend Sache des BKA und das übt über solche Dinge bekanntlich Geheimhaltung. Dient nicht irgendwie alles, was das BKA tut, der Gefahrenabwehr? „Beschuldigter“ kann ohnehin prinzipiell jeder werden, der einmal zur falschen Zeit am falschen Ort ist.

Das erste, was das Gesetz überhaupt nicht regelt, ist, was nach dem Freispruch eines erstmal Beschuldigten mit seinen Daten passiert. Kein Wort dazu, ob oder wann sie gelöscht werden. Laut der vor dem Gesetz gültigen Errichtungsanordnung wurde nur gelöscht, wenn der Freispruch aus „erwiesener Unschuld“ erfolgte. Bei einem Freispruch aus „Mangel an Beweisen“ konnte weiter gespeichert werden. Ebensowenig legt das Gesetz fest, ob man darüber informiert wird, daß überhaupt entsprechende Daten gespeichert sind. Lediglich die entnommen Körperzellen „sind unverzüglich zu vernichten“, sobald sie für die DNA-Analyse nicht mehr erforder-lich sind. Über die Löschung der Daten selbst kein Wort. Wie die Entnahme durchzuführen ist, regelt das Gesetz auch nicht. Reicht das Einverständnis des Betroffenen? Braucht man eine richterliche Anordnung? Wenn ja, von welchem Richter? Wird man angehört? Kann man Widerspruch einlegen? usw. usf.

Bei den nur ein Jahr zuvor in die StPO eingefügten §§ 81e und 81f („Molekulargenetische Un-tersuchung“) nahm man es mit solchen Fragen noch wesentlich genauer. Doch diese Regelungen beziehen sich nicht auf die Errichtung einer Datenbank und lassen daher alle diesbezügli-chen Fragen offen. Rechtspolitisch ist das DNA-Identitätsfeststellungsgesetz auch im Kontext der allgemeinen Tendenz zur fatalen Vermehrung unbestimmter Rechtsbegriffe zu bewerten, in die es sich nahtlos einfügt. Abgesehen vom juristischen Sprachduktus könnte das Gesetz genausogut lauten: „Macht mal, ist schon in Ordnung“.

Datenschutzprobleme

Aus den genannten Unklarheiten über die Art der Speicherung, Weitergabe und fehlende Regelungen zur Löschung der Daten ergeben sich erhebliche datenschutzrechtliche Bedenken. Insgesamt ist neben dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit das Grundrecht auf (informationelle) Selbstbestimmung tangiert, wenn in diesem Umfang gegen den Willen der Betroffenen personenbezogene Daten gespeichert werden. Die im Gesetz (anhand der Charakterisierung der erforderlichen Straftaten) erwähnten Rechtsgüter können einen so fundamentalen Eingriff in die Grundrechte keinesfalls pauschal rechtfertigen. Mindestens bedürfte es transparenter und klarer Bestimmungen zur Aufklärung der Betroffenen, was mit ihren Daten passiert.

Wozu sich das noch alles verwenden läßt

Der kontinuierliche Ausbau kriminalpolizeilicher Kontroll- und Fahndungsbefugnisse läßt annehmen, daß die aktuelle Regelung nur den ersten Schritt auf dem Weg zu einer umfassenden Gen-Datei ist, die zu immer mehr Zwecken eingesetzt werden kann. Der Kreis der erfaßten Personen ist durch das Gesetz schon weit gefaßt, läßt sich aber leicht noch auf andere Personengruppen ausdehnen (wir ersparen uns eine Liste der „üblichen Verdächtigen“, um die Phantasie der Sicherheitspolitiker nicht zusätzlich anzuregen). Im Zuge von Rasterfahndungen und Jedermannskontrollen ohne Tatverdacht lassen sich unzählige Datenabgleiche ausdenken. Die Formel ist immer dieselbe: „Wer sich nichts zuschulden kommen läßt, hat nichts zu befürchten“. Warum also nicht von jedem gleich bei Geburt oder Einreise den genetischen Fingerabdruck machen?

Die Wissenschaft arbeitet derweil weiter an der Entschlüsselung des menschlichen Erbguts. Angeblich wird man in ein paar Jahren auch aus dem zur Erstellung des genetischen Fingerab-drucks verwendeten DNA-Strang die Erbinformationen auslesen können. Besonderes Interesse gilt dabei der Hoffnung, irgendwann ein sogenanntes „Verbrecher-Gen“ zu finden. (Dazu gibt es schon zahlreiche Bücher, inklusive Phantasien zum Umgang mit den schon als Baby zum Verbrecher gestempelten Personen…)

Kriminalpolitisches

Eine Gen-Datei ist teuer, unnütz, verstößt gegen Grundrechte und fördert fragwürdige Ermittlungsmethoden und geheimdienstliche Praktiken, die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit unterhöhlen. Die Vorstellung, durch immer neue technische Ermittlungsverfahren und riesige Daten-sammlungen ließen sich Straftaten verhindern, ist ein kriminalpolitischer Irrglaube. In einigen Fällen fördert der zunehmende Kontrolldruck und die Verschärfung des Strafrechts eher Exzesshandlungen der Täter, die sich z.B. durch Waffengebrauch der Verfolgung entziehen wollen. Aus einem Bankraub wird so schnell eine Geiselnahme. Es gibt wenig Anlaß anzunehmen, die Technisierung sozialer Kontrolle sei insgesamt ein geeigneter und vertretbarer Weg, Straftaten zu verhindern. Das gilt umso mehr, als fortschrittliche Alternativen im politischen Diskurs mehr und mehr ins Hintertreffen geraten. Überfüllte Gefängnisse sind bekanntlich kein Beitrag zur Kriminalprävention. Die USA bieten in dieser Hinsicht ein abschreckendes Beispiel. Doch angesichts medienwirksamer Inszenierungen des „harten Durchgreifens“ sind Vorschläge zur Entkriminalisierung und alternativen Umgangsformen mit Straftaten für den populären politischen Diskurs unattraktiv geworden.

Genetische Fingerabdrücke auch ohne Datei ein Problem

Aufrechte Liberale, die ihren Glauben an den hiesigen Rechtsstaat noch nicht gänzlich verloren haben, könnten jetzt fragen, warum es denn nicht ausreiche, die Einrichtung von Gen-Dateien zu verbieten, während der genetische Fingerabdruck an sich unter kontrollierten rechtsstaatlichen Bedingungen zur Verhinderung schwerster Straftaten doch eigentlich unterstützenswert sei. Diese Sichtweise ignoriert sowohl die Bedeutung der auch in dieser Variante fortbestehenden Einwände, als auch die typische Dynamik der schrittweisen Ausweitung vergleichbarer sicherheitsstaatlicher Befugnisse.

Auch ohne Datei bleibt der genetische Fingerabdruck ein kriminalpolitisch bedenkliches Instrument, das auf falschen Vorstellungen von wissenschaftlicher Exaktheit und kriminalistischer Sorgfalt beruht. Insbesondere bei der Verfolgung von Straftaten sind dem Staat aus gutem Grund Grenzen gesetzt, um Bürgerrechte zu schützen. Der „Kampf gegen das Verbrechen“ richtet sich in Wahrheit gegen die Demokratie. Die Geschichte der Ausweitung sicherheitsstaatlicher Befugnisse vom „Telefon-Abhörgesetz“ über „OK-Gesetz“ und „Großer Lauschangriff“ zu „Rasterfahndung“ und „Jedermannskontrollen“ hat immer wieder gezeigt, daß jede Einschränkung der Bürgerrechte nur ein Schritt auf dem Weg zu immer mehr Überwachung war, dem unweigerlich der nächste Schritt folgte. Und sie hat gezeigt, daß Maßnahmen, die angeblich der Verbrechensverhütung dienen, sich zunehmend gegen alle Bürgerinnen und Bürger richten.

Jeder weitere Schritt auf diesem Weg ist ein Schritt zu viel!

Antrag des BAK Grund- und Freiheitsrechte zur BDK 1999


Demokratie und Grundrechte

Sicherheitspolitik – Freiheit stirbt mit Sicherheit!


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Warum wir ein Volksbegehren zur Beendigung der Wahlperiode des Abgeordnetenhauses nicht unterstützen

Die Frage der politischen Ausrichtung

Die Situation in Berlin ist beschissen und die Politik des rot-roten Senats macht Widerstand an vielen ganz konkreten Punkten notwendig – seien es die zahlreichen Sparmaßnahmen im Sozial-, Bildungs- und Kulturbereich oder sei es die fortgesetzte Lohnkürzungs- und Privatisierungspolitik, sei es der Ausstieg aus dem Flächentarifvertrag oder die noch immer nicht ausgestandene Diskussion um Studienkonten und -gebühren. Gegen all diese Verschärfungen und unsozialen Maßnahmen sind organisierter Protest und Widerstand aller Betroffenen unvermindert geboten.

Dass sich Berlin in einer Haushaltsnotlage befindet, bestreitet niemand. Doch das verbissene Festhalten des rot-roten Senats am Dogma der Haushaltskonsolidierung durch Kürzungen und Privatisierungen wird der Stadt und ihren Bewohnern weder kurz- noch längerfristig Gutes bescheren. Mit dem Totschlagargument „Sachzwang“ wird kaputtgespart und verscherbelt und ein glückliches Ende dessen ist auch für Sarrazin und Co. nicht in Sicht, eine Entschuldung Berlins aus eigener Kraft ist und bleibt undenkbar.

Neoliberale Politikvorstellungen sind aber kein auf Berlin begrenztes Problem, sondern schlagen uns von allen Seiten entgegen. „Sachzwänge“ diktierten „Reformen“ die nötig seien um Berlin/Deutschland/Europa wieder „zukunfts- und wettbewerbsfähig“ zu machen. Im Klartext sind das eine „Gesundheitsreform“, die medizinische Versorgung für die große Mehrheit der Bevölkerung verschlechtern und verteuern wird, eine erneute „Rentenreform“, die dazu führt, dass die Renten 2004 zum ersten Mal seit Bestehen der Bundesrepublik sinken und die Altersarmut in absehbarer Zeit erheblich zunehmen wird, eine „Arbeitsmarktreform“, die drastische Kürzungen bei den Unterstützungsleistungen mit zunehmendem autoritärem Druck verbindet, und eine „Steuerreform“, die Entlastungen in erster Linie für Unternehmen und Bezieher von höheren Einkommen, Kapitalerträgen und Spekulationsgewinnen bringt.

Diese Maßnahmen entstammen nicht der Feder des rot-roten Senats, sondern der rot-grünen Bundesregierung, mit kräftigem Rückenwind der schwarz-gelben Opposition, der die Richtung gefällt und der nur die Schritte zu klein sind. Natürlich hat der rot-rote Senat im Bundesrat nichts unternommen, um diese Politik zu verhindern. All diese Reformen treffen natürlich auch die Berliner.

Hinzu kommt die Berliner Haushaltslage – eine so extrem hohe Verschuldung, dass sich Berlin keinesfalls aus eigener Kraft daraus befreien kann. Die Entschuldung Berlins kann nicht gelingen wenn keine bundespolitische Lösung gefunden wird. Nötig ist eine Steuerpolitik des Bundes, die durch eine gerechtere Verteilung der Belastungen mehr Einnahmen erzielt, die letztlich den Ländern und Kommunen zugute kommen. Ideen gibt es genug: Die Reform von Einkommens- und Körperschaftssteuer, die Wiedereinführung der Vermögenssteuer und der Börsenumsatzsteuer…

Solange es keine Entlastung der Kommunen durch eine gerechte Steuerpolitik des Bundes gibt und Berlin nicht entschuldet wird, bleibt jedem Berliner Senat nur die Verwaltung der Haushaltsnotlage. Auch einzelne Ideen, wie die Einnahmen Berlins auch auf kommunaler Ebene erhöht werden könnten, ändern daran nichts.

Widerstand gegen die Berliner Verhältnisse muss sich also immer auch gegen die Bundesregierung richten. Es bedarf eines breiten organisierten Protests gegen das Ausbluten der Kommunen. Ein kurzfristig aktionistisches Volksbegehren zur Beendigung der Wahlperiode des Abgeordnetenhauses verstellt dagegen den Blick auf diese Zusammenhänge und erweckt vielmehr den Eindruck, es müssten nur die „Richtigen“ im Roten Rathaus sitzen, dann würde schon alles gut in Berlin. Es ist aber eben keine Frage der „richtigen Leute“, sondern des politischen Handlungsrahmens, der im Zuge dieses Volksbegehrens höchstens am Rande zur Sprache kommen kann, statt Schwerpunkt des Widerstands zu sein.

Die Frage der faktischen Durchführung

Wir teilen nicht die Einschätzung, dass das Volksbegehren zur Beendigung der Wahlperiode des Abgeordnetenhauses eine Chance auf Erfolg hat. Dass es allein ausreichen soll, „denen da oben mal unseren Unmut zu bekunden“ um die Hälfte der wahlberechtigten Berliner zur Abstimmung und mehr als ein Viertel aller Berliner Wahlberechtigten zu einem „Ja“ zur Beendigung der Wahlperiode zu bewegen, ist nicht einsichtig.

Auch der erhoffte Nutzen eines erfolgreichen Volksbegehrens zur Beendigung der Wahlperiode des Abgeordnetenhauses überzeugt da nicht. Eine politische Alternative ist nicht zu erwarten, und ein „symbolischer Sieg gegen unsoziale Politik“ wird niemanden vor ihrer Fortsetzung bewahren. Den vagen Nutzen einer so symbolischen Politik scheint uns die Gefahr der Schwächung der außerparlamentarischen Bewegung durch ein Scheitern des Volksbegehrens enorm zu überwiegen.

Und nicht nur ein Scheitern des Volksbegehrens würde die Berliner außerparlamentarischen Kräfte schwächen, sondern auch dessen Durchführung: Auf der einen Seite werden Kräfte von den geplanten inhaltlichen Kampagnen abgezogen werden müssen, andererseits steht zu befürchten, dass diese Kampagnen trotz inhaltlicher Übereinstimmung nur dann unterstützt werden können, wenn die Gretchenfrage „wie hältst du’s mit dem Volksbegehren?“ mit „dafür“ beantwortet wird. Mit einem solchen Vorgehen ohne politische Alternative werden zudem die existierenden kritischen und fortschrittlichen Kräfte in bzw. im Umfeld von SPD und PDS nicht unterstützt, sondern gespalten und damit geschwächt.

All diese Gefahren sehenden oder gar zweifelnden Auges in Kauf zu nehmen ist nicht nur leichtsinnig, sondern sogar gefährlich!

Die Frage nach den nächsten Schritten

Der Protest gegen Sozialabbau, Kürzungs- und Privatisierungspolitik muss unvermindert weitergehen – ein Volksbegehren zur Beendigung der Wahlperiode des Abgeordnetenhauses ist kein Schritt in diese Richtung.

Die Alternative zu einem Volksbegehren sind für uns klare inhaltliche Kampagnen, zum Beispiel

  • eine Kampagne zur Entschuldung Berlins.
  • eine Antiprivatisierungskampagne gegen die Senatspläne zu Vivantes und BVG.
  • die Weiterführung der Kampagne zur Einführung eines Sozialtickets zum Preis von 10€.

All diese Punkte bieten genügend Stoff um zum einen den rot-roten Senat für seine unsoziale und perspektivlose Spar- und Privatisierungspolitik in den Arsch zu treten und gleichzeitig klar zu machen, dass der Bund in der Pflicht steht.

Zugleich gibt es Punkte, die der Senat, trotz großer Versprechungen im Koalitionsvertrag noch immer nicht umgesetzt hat – wie die längst überfällige Durchsetzung der Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte und der Abschaffung des Chipkartensystems auch in den Bezirken. Der Wiedereintritt des Landes Berlin in den Bund der kommunalen Arbeitgeber ist eine weitere Forderung, der sich der Senat allein zu stellen hat.

Zudem bleibt die Aufgabe bestehen, Wege der politischen Umsetzung der Forderungen der außerparlamentarischen Linken zu entwickeln. Ein Volksbegehren zur Beendigung der Wahlperiode des Abgeordnetenhauses dient diesem Ziel in der derzeitigen Situation nicht.

Beschluss des Landesvorstandes der JD/JL-Berlin vom 11. Mai 2004